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Optometrie: Fielmann gibt Gas. Und Sie?

Geschrieben von Christian Rether | 10. Oktober 2024

Vom Kassengestell zum Gesundheits-Dienstleister: Nimmt Fielmann mit dem Augen-Check-Up den traditionellen Augenoptikgeschäften das letzte Alleinstellungsmerkmal? Der Versuch einer Einordnung.

Lassen Sie uns eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit machen. Unseren imaginären Flux-Kompensator werden wir dabei nicht ins Schwitzen bringen, denn es geht nur um ein paar Monate zurück in den vergangenen Herbst. Es ist Anfang Oktober und regelmäßige Leser des eyenews Magazins erinnern sich vielleicht noch an das Titelthema der Herbstausgabe (3/2023) des letzten Jahres: „Optometrie oder Optomanie – Ein Blick durch die Messbrille in die Zukunft der Optikbranche“.

Im Leitartikel der Ausgabe ging Bastian Schnuchel der Frage nach, welche Bedeutung zukünftig die Optometrie für Augenoptiker haben wird. Sein Fazit damals: „Ja, ich bin fest davon überzeugt, dass die Optometrie langfristig eine tragende Säule des Geschäftsmodells der meisten Augenoptiker sein wird.“ Ebenfalls in der angesprochenen eyenews Ausgabe gab Ralf Bachmann, Inhaber von vier Fachgeschäften, folgende Einschätzung ab: „Gesundheits-Dienstleistungen anzubieten ist sicher ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sich der traditionelle Augenoptiker von den Filialisten abheben kann.“

Was zu diesem Zeitpunkt noch keiner ahnen konnte, war, dass Fielmann nur wenige Wochen später mit der Ankündigung des „Augen-Check-Ups“, eines optometrischen Augen-Screenings inkl. Fundusbetrachtung und telemedizinischer Risikoeinschätzung, für einigen Gesprächsstoff in der Branche sorgen würde.

 

50.000 SCREENINGS DURCHGEFÜHRT

Zurück in die Gegenwart. Ein gutes Dreivierteljahr später gibt Fielmann auf der Aktionärs-Hauptversammlung folgende Kennzahlen bekannt: In über 250 Fielmann-Filialen in der Schweiz und in Deutschland wurden 50.000 Augen-Screenings durchgeführt. Das sind im Schnitt 200 Messungen pro Filiale – in weniger als einem Jahr!

Man kommt nicht umhin, von diesen Zahlen erstaunt zu sein und auch, wenn es manche Leser nicht gerne hören wollen, ist das eine wirklich beeindruckende Entwicklung. Fielmann gibt beim Thema Augenvorsorge Vollgas und schießt in wenigen Monaten von 0 auf 100. Offensichtlich sieht Fielmann hier ein immenses Marktpotenzial, welches es schnellstmöglich zu erschließen gilt. Die Pilotphase war für die Konzernleitung wohl so erfolgreich, dass ebenfalls auf der Aktionärs-Versammlung bekannt gegeben wurde, dass geplant sei, praktisch alle Fielmann-Filialen mit der Technik für Augen-Screenings auszustatten und den „Augen-Check-Up“ flächendeckend anzubieten.

 

WICHTIGER BEITRAG ZUR AUGENGESUNDHEIT

Fielmann selbst spricht dabei von „einem wichtigen Beitrag, Augengesundheit für alle zugänglich zu machen.“ Ob es dem Branchenprimus aber wirklich um eine Demokratisierung der Augenvorsorge geht oder einfach mit brachialer Gewalt ein neuer Markt und damit potenzielle Brillen-Kunden erschlossen werden sollen, kann wohl nur Marc Fielmann selbst beantworten.

Und Fielmann ist mit seiner Entscheidung nicht nur den traditionellen Augenoptikern auf die Füße getreten, sondern auch den Augenärzten, die das Ganze als Vorstoß in ihr ureigenes Hoheitsgebiet interpretieren. So sieht beispielsweise der Bundesverband der Augenärzte in einer Stellungnahme zum Fielmann-Screening die neue Dienstleistung sehr kritisch und empfiehlt seinen Mitgliedern keine Beteiligung am Geschäftsmodell.

Fakt ist aber nun einmal, dass die Wartezimmer von Augenärzten aus allen Nähten platzen. Immer mehr ältere Bürger benötigen immer mehr Gesundheitsdienstleistungen und rein statistisch gesehen, wird es zukünftig immer mehr Menschen in Deutschland geben, die aufgrund ihres Alters zur Zielgruppe für optometrische Dienstleistungen werden. Gleichzeitig sinkt aber die Zahl der niedergelassenen Augenärzte. Den immensen Bedarf können die Fachärzte schon seit längerer Zeit nicht mehr decken. Wartezeiten für einen Termin liegen selten unter einem halben Jahr, oft deutlich länger. Hinzu kommt, dass die Bereitschaft, Geld für Gesundheits-Dienstleistungen auszugeben, ebenfalls weiter steigt (siehe Grafik auf Seite 5).

Körperliches Wohlbefinden und Gesundheit sind Lifestyle-Themen und passen zum gesellschaftlichen Trend zur Selbstoptimierung. Die Rechnung ist also ganz einfach: Die Nachfrage übersteigt das bestehende Angebot bei weitem und das Marktpotenzial wächst stetig.

Aber wie so oft lautet auch hier die Devise: Nur nicht in Panik verfallen! Denn die gute Nachricht ist, dass auch ein Fielmann die große Nachfrage kurz- und mittelfristig nicht wird decken können. Falls Sie also Sorge haben, dass am Ende nichts mehr vom Kuchen für Sie übrig bleibt, kann ich Sie beruhigen. Es ist genügend für alle da. Aber – und das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden – die Zeit des Herumdrucksens ist vorbei. Die Zukunft gehört nicht den Generalisten, den „Bauchladen-Geschäften“, die irgendwie von allem ein bisschen was anbieten, aber eigentlich nichts so richtig. Stattdessen werden diejenigen erfolgreich sein, die sich spezialisieren und den Kunden ein perfektes, reibungsloses Einkaufserlebnis anbieten.

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Jetzt also mal Butter bei die Fische: Hat Fielmann mit dem Einstieg in Screenings den Tradis das letzte noch verbleibende Alleinstellungsmerkmal genommen?

Nein Komma aber: Natürlich gibt es auf unsere Ausgangsfrage keine eindeutige Antwort. Aber ich kann Sie zumindest ein bisschen beruhigen. Ganz bestimmt ist der Einstieg in die Optometrie kein disruptives Ereignis, nach dem jetzt sämtliche traditionellen Fachgeschäfte nacheinander schließen werden. Aber es ist ein konsequenter Schritt des Konzerns weg vom „Billigheimer“-Image, welches seit Mitte der 80er Jahre aufgebaut wurde (Slogan: „Mein Papi hat keinen Pfennig dazu bezahlt!“) und hin zu einem seriösen, hochwertigen Fachgeschäft mit Top-Service, welches auch für einkommensstarke Kunden eine echte Alternative ist (Übrigens: Eine ähnliche Strategie verfolgt der Discounter Aldi, seitdem das Unternehmen nach deren Tod nicht mehr von den namensgebenden Brüdern geführt wird... ). Wo man früher noch für das „Kassengestell“ abwertende Blicke erntete, ist der Besuch einer Fielmann-Filiale heutzutage überhaupt nicht mehr stigmatisiert. Mit dem Augen-Check-Up erweitert Fielmann sein Dienstleistungsspektrum und rundet es um einen Service ab, der für viele Kunden zu einer erwägenswerten Option wird. Damit wird der Filialist zwar bestimmt nicht zu einem ausgewiesenen Spezialisten in Sachen Optometrie.

Das Thema Augenvorsorge wird aber aus einer Nische gezogen, sie bekommt Aufmerksamkeit in der Bevölkerung und wird vermutlich in näherer Zukunft zu einem für Endverbraucher mehr oder weniger „normalen“ Service gehören. Diese Gratis-PR kommt am Ende nicht nur den Fielmann-Filialen, sondern allen Augenoptikern zugute. Denn mit der „Normalisierung“ des optometrischen Angebots wird das Augenscreening langfristig zu einer Dienstleistung, die Endkunden als Selbstverständlichkeit ansehen.

Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt: Nicht nur die Dienstleistung an sich, sondern auch die Tatsache, dass Fielmann das Screening nicht kostenlos anbietet, ist eine Entscheidung mit Signalwirkung an die Verbraucher. Ganz deutlich wird hier kommuniziert: Diese Dienstleistung hat einen Mehrwert und dieser Mehrwert hat einen Preis. Und wenn man sich die vorhin genannte Zahl der bisher versorgten Kunden ansieht, scheinen die aufgerufenen 49 € auch nicht wirklich abschreckend zu sein.

Ohne hier ein weiteres Fass aufmachen zu wollen, erstaunt es mich immer wieder, bei wie vielen Augenoptikern auf die Frage, welchen Verkaufswert die Refraktion hat, nur ein Schulterzucken kommt. Dabei ist das die Kerndienstleistung eines augenoptischen Fachgeschäfts. Deshalb hier nochmal mein eindringlicher Appell: Verkaufen Sie sich und Ihre Arbeit nicht unter Wert! Es ist schon ein wenig eine Ironie der Geschichte, dass jetzt ausgerechnet Fielmann, der ja lange Zeit genau wegen des „Verramschens“ der Augenglasbestimmung heftiger Kritik unter Augenoptikern ausgesetzt war, nun zur Normalisierung einer bepreisten Dienstleistung beiträgt. Der Preis ist das eine, wichtig ist daneben aber auch die klare Positionierung eines Screenings im Rahmen der verschiedenen Messdienstleistungen. Dazu gehört einerseits eine trennscharfe Differenzierung der Services untereinander und andererseits eine präzise und vor allem für Endkunden verständliche Definition des jeweiligen Leistungsumfangs. Welche Pakete werden angeboten? Welchen Leistungsumfang kann man als Kunde erwarten? Ein klar strukturiertes Angebot hilft Ihren Kunden bei der Entscheidungsfindung, aber auch Ihren Mitarbeitern bei einer bedarfsgerechten Beratung. Dazu gehört übrigens auch eine umfassende Weiterbildung für die Mitarbeiter.

 

 

Eine Spezialisierung auf die Bereiche Augen-Vorsorge, Screening und Optometrie bleibt für inhabergeführte Fachgeschäfte also weiterhin ein probates Mittel, um sich abzusetzen. Allerdings nur dann, wenn man im wahrsten Sinne des Wortes All-in geht. „So-ein-bisschen-Optometrie“ als Alibi zählt dann nicht mehr.

Heißt im Umkehrschluss: Die Spezialisierung muss noch prägnanter sein. Viele Optiker, darunter auch zahlreiche unserer Kunden, machen es vor. Alle diese Fachgeschäfte dürfen sich jetzt auf die Schulter klopfen, dass sie schon vor einiger Zeit auf den Optometrie-Zug aufgesprungen sind. Der Vorstoß von Fielmann ist nämlich auch ein Signal an alle Optometristen, dass sie auf dem richtigen Weg sind.

Nur weil Fielmann auch in die Optometrie einsteigt, heißt das noch nicht, dass jetzt alles zu spät ist. Im Gegenteil. Die Einstellung sollte meiner Meinung nach lauten: Jetzt erst recht!

Im Nachhinein betrachtet, hat mein Kollege Bastian Schnuchel mit seiner Einschätzung eine fast schon prophetische Vorahnung bewiesen – und wurde durch die Fielmann-Entscheidung bestätigt. Optometrie ist nun nicht mehr ein Nischen-Thema für „Schönwetter-Abberometristen“ oder „Optometrie-Gurus“ (seine Worte, nicht meine), sondern ein Themenkomplex, mit dem sich alle Augenoptiker zumindest einmal ergebnisoffen auseinandersetzen müssen. Bastian Schnuchel hat das wie folgt zusammengefasst: „Wenn Sie nicht auf einem anderen Gebiet eine extreme Spezialisierung haben […], die Sie deutlich von Ihren Marktbegleitern differenziert, dann wird am Thema „Screening & Optometrie“ kein Weg vorbeiführen.“

Unterm Strich: Spezialisieren Sie sich! Denn die Bereiche Augen-Vorsorge, Screening oder Optometrie sind weiterhin Alleinstellungsmerkmale, um sich von Mitbewerbern – darunter auch Fielmann mit dem neuen Augen-Screening – abzusetzen.