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Interview: Optometrie eine Frage der Ethik?!

Ralf Bachmann, Inhaber von vier Optikfachgeschäften in Niedersachsen, beschäftigt sich seit einigen Jahren ganz aktiv mit dem Thema Optometrie in seinem Berufsstand. Er selbst hat einen Master of Science in Clinical Optometry und sieht derartige Qualifikationen als Chance gegenüber Filialisten. Im Interview erklärt uns Ralf Bachmann, wo die Reise in der Optik in Zukunft hingehen kann und wo er gewisse Probleme in der Entwicklung sieht.

 

Herr Bachmann, seit inzwischen 30 Jahren verhelfen Sie mit Ihrem Team den Menschen zu besserem Sehen. Wie hat sich die Augenoptik in dieser Zeit verändert?

Ralf Bachmann: Was den Verkauf und die Beratung angeht, ist die Basis natürlich die gleiche – es geht nach wie vor um exzellenten Kundenservice, bestehend aus Expertise und einem Gespür für Menschen.

Weiterentwickelt haben sich dagegen der Markt und die Technik. Wir mittelständische Optiker müssen uns stärker gegen Filialisten behaupten und steigende Technikangebote rund um unser eigentliches Handwerk kompensieren.

 

Können Sie letzteres etwas genauer erläutern?

Bachmann: Nun ja, mit der Technik, die mit der Zeit immer präziser und moderner geworden ist, sind auch Anbieter auf der Bildfläche erschienen, die uns Optikern – bei Bedarf – etliches an Arbeiten abnehmen. Gläser einpassen, Reparaturen ausführen; das brauchen wir heute nicht mehr selbst machen, dafür gibt es Firmen. Das Problem: Möglichem Nachwuchs geht so der handwerkliche Teil unserer Ausbildung verloren.

 

Für Sie persönlich also keine Option?

Bachmann: Nein, bislang nicht. Wir – als Ausbildungs-betrieb – wollen, dass unsere Auszubildenden den Beruf wirklich von der Pike auf lernen. Mit all seinen Facetten! Obwohl ich schon zugebe, dass ich mir lieber einen neuen OCT kaufe als ein neues Schleifgerät (lacht).

 

Womit wir beim Thema Optometrie wären. Sie haben 2014 Ihren Abschluss zum Master of Science in Clinical Optometry (USA) gemacht, sind seither Mitglied in der American Academy of Optometry. Wie hat diese Qualifikation die Arbeit in Ihrem Geschäft verändert?

Bachmann: Wir haben damit ein Stück weit die Lücke zur Medizin geschlossen, indem wir unseren Fokus gezielt auf die Themen Optometrie und Gesundheitsvorsorge gerichtet haben. So begegnen wir beispielsweise auch dem wachsenden Fachärztemangel in Deutschland.

 

Bevor wir noch näher darauf eingehen: Was hat Sie zu dieser Spezialisierung bewogen? 

Bachmann: Nun ja, in meinem Kopf hatte ich schon länger den Gedanken: „Das kann es mit der Optik nicht gewesen sein, da muss es noch mehr geben, auch mit Blick auf die Zukunft“. Allerdings kam mir zuerst ein bisschen das Leben in die Quere. Ich bin nach meiner Ausbildung schnell in die Selbstständigkeit gestartet, habe meinen Betriebswirt gemacht, mich zum Hörakustiker und Pädakustiker weitergebildet und dazu mit meiner Frau fünf wunderbare Kinder bekommen. Da blieb nicht wirklich viel Zeit für den Blick über den Tellerrand.

 

Fundierte Basis für weitere Behandlungen

 

Inwieweit profitieren Ihre Mitarbeiter, aber vor allem Ihre Kunden, inzwischen von dieser besonderen Expertise?

Bachmann: Wir haben gegen Ende meines Master-Studiums unser Geschäft umgebaut und im Zuge dessen auch einen eigenen Raum geschaffen, in dem wir unseren Kunden die verschiedenen optometrischen Dienstleistungen anbieten. Gleichzeitig haben wir ein passendes Verkaufs-Konzept dazu erarbeitet und unsere Mitarbeiter motiviert, auch danach zu arbeiten. Von den Kunden wird dies sehr gut angenommen, mittlerweile werden wir sogar von Augenärzten gezielt weiterempfohlen. Schließlich müssen unsere Kunden nicht monatelang auf Termine warten und die Ergebnisse, die wir liefern, bieten eine absolut fundierte Basis, auf der eventuelle weitere „Behandlungen“ fußen.

 

Mittlerweile springen viele Augenoptiker auf den „Optometrie-Zug“ auf, haben aber nicht ansatzweise eine vergleichbare Ausbildung wie Sie. Sie sehen das sicher kritisch?! 

Bachmann: Tja, rein theoretisch darf sich in Deutschland jeder Optiker auch Optometrist nennen – nur aktiv werben darf er damit eigentlich nicht... Aber ich sehe eine große Gefahr darin, wenn Kollegen einen Haufen teurer Geräte anschaffen, dann aber nicht in der Lage sind, eine fundierte fachliche Auswertung damit zu erzielen. Das können auch die Kundinnen und Kunden gar nicht einschätzen – im schlimmsten Fall wird etwas übersehen, gleichzeitig aber kommuniziert, dass alles in Ordnung ist. Deshalb kann ich auch verstehen, dass viele Augenärzte dieser Entwicklung im Moment skeptisch gegenüberstehen.

 

Wenn jemand wirklich den Fokus auf optometrische Dienstleistungen legen möchte, was empfehlen Sie diesem Kollegen? Was braucht es, um den Kunden einen echten Mehrwert bieten zu können?

Bachmann: Für mich ist das vor allem auch eine ethische Frage. Die Kundinnen und Kunden geben uns einen enormen Vertrauens-vorschuss, wenn sie uns mit der Prüfung ihrer Augengesundheit beauftragen. Seit dem „Refraktionsurteil“ von 1973 sind wir Augen-optiker zu 90 Prozent für die Refraktionsbestimmung zuständig, wir gewähr-leisten damit die Versorgungs-sicherheit im Bereich „gutes Sehen“. Das ist aber eben nur der erste Schritt. In den kommenden Jahren werden Gesundheitsvorsorge und -beratung immer wichtiger werden, da braucht es qualifizierte Kräfte als zusätzliche fachliche Instanzen.

 

Wo geht für Sie also die Reise beim Thema „Optometrie“ in den nächsten Jahren hin? Sehen Sie die Optiker tatsächlich als langfristige und angemessene Entlastung für Augenärzte, bzw. um den Kunden den ein oder anderen Besuch dort zu ersparen?

Bachmann: Gesundheits-Dienstleistungen anzubieten, ist sicher ein Alleinstellungs-merkmal, mit dem sich der traditionelle Augenoptiker von den Filialisten abheben kann. In einem inhaber-geführten Geschäft lassen sich derartige Maßnahmen schneller umsetzen, das bringt uns definitiv einen Vorsprung. So können wir das Defizit abfangen, das dadurch entsteht, dass in Deutschland viele Augenärzte weniger arbeiten, gleichzeitig aber keine neuen dazukommen.

 

Für Akzeptanz in der Bevölkerung

 

Um mit der Optometrie aber auch ehrliche Erfolge zu erzielen, muss meines Erachtens vor allem die Politik einen rechtlichen Rahmen schaffen. Der Beruf „Optometrist“ sollte akademisch werden und an regelmäßige Fortbildungen geknüpft sein, um auch praktisch am Ball bleiben zu können. Nur dadurch wird die Akzeptanz in der Bevölkerung wachsen. Am Ende geht es dann auch gar nicht darum, ob ich Diagnosen stellen darf. Das muss ich nicht. Aber wenn ich in der Lage bin, andere Erkrankungen wie beispiels-weise Diabetes oder neurologische Auffälligkeiten – die man nun mal auch an den Augen erkennt – zu benennen, leiste ich einen wichtigen Beitrag für unsere Kundinnen und Kunden. Um die offizielle Diagnose und die passende Behandlung kümmert sich dann der Augenarzt.

 

Wir führen derzeit zwischen 200 und 300 Augenvorsorge-Untersuchungen bei uns im Geschäft durch, Dauer circa 1 ½ Stunden. Alle Messergebnisse werden für zukünftige Abgleiche fein säuberlich dokumentiert, um spätere Veränderungen sofort erkennen zu können. So verfahren wir beispielsweise mit einer fortschreitenden Makuladegeneration. Da es kein Medikament dagegen gibt, können wir die Menschen nur damit begleiten und den Verlauf kontrollieren – schon das hilft vielen enorm.

 

Sie haben fünf Töchter. Zwei davon sind – so wie Sie – in der Augenoptik tätig. Wie kam es, dass sich beide für diesen Beruf entschieden haben, und was raten Sie anderen Kolleginnen und Kollegen in puncto „augenoptischer Nachwuchs“?

Bachmann: Zunächst wollte keine meiner Töchter in die Augenoptik, erst als sie durch Zufall über einen Hochschul-Flyer mit der Möglichkeit eines dualen Studiums „gestolpert“ sind, hat es scheinbar klick gemacht. Ihnen war vor allem die akademische Ausrichtung wichtig. Die eine Tochter, die jetzt schon bei uns im Unternehmen arbeitet, war vorher zudem bei einem Augenarzt tätig und obwohl sie hier nun sehr zufrieden ist, zeigt das ein weiteres Problem mit dem Berufsstand „Optometrist“: Viele Studenten wandern zu Augenärzten oder in die Industrie ab, weil sie in der Augenoptik nicht so dürfen, wie sie sollten. Umso wichtiger noch einmal der Appell an die Politik, dahingehend etwas zu ändern.

 

War das schon Ihr Schlusswort oder gibt es noch etwas, dass Ihnen unter den Nägeln brennt?

Bachmann: Ich möchte allen aktuellen und zukünftigen Kolleginnen und Kollegen zurufen: Vergesst bei aller Optometrie, die sicher zukunftsweisend ist, die Basics unserer Arbeit nicht. Noch heute werden wir von Optikern aus anderen Ländern um unser Handwerk mit all den Anpass- und Messfähigkeiten beneidet. Es gilt also, die perfekte Mischung zu finden und das ist sicher eine große Herausforderung, der wir uns weiter stellen sollten.

 

Herr Bachmann, vielen Dank für
das Gespräch! 

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