Unangenehm. Ärgerlich. Zeitverschwendung. Diese Begriffe fallen in Zusammenhang mit einem Ausbildungsabbruch – und zwar meist auf beiden Seiten. Wir haben mit Elias (Anmerk. d. Red.: Name geändert) gesprochen, der sich zunächst für eine Ausbildung zum Augenoptiker entschieden hatte, diese dann aber abbrach. Seine Gründe dafür, und was er heute macht, erzählt er im Interview.
1. Elias, was hat Dich ursprünglich dazu bewogen, deine Ausbildung zum Augenoptiker zu beginnen?
Elias: Eigentlich wusste ich in der 9. Klasse der Realschule nicht so richtig, was ich machen sollte. Bis dahin hatte ich auch noch keine Bewerbungen geschrieben, weil ich mich nicht zwischen einer klassischen kaufmännischen Ausbildung (mein Vater arbeitet in einem großen Unternehmen im Büro) und einem handwerklichen Beruf (mein größerer Bruder macht eine Ausbildung zum Mechatroniker) entscheiden konnte. Das erste Mal Kontakt mit dem Beruf des Augenoptikers hatte ich im Rahmen meines Führerschein-Sehtests. Den Test machte damals Leonie, eine Freundin aus der Nachbarschaft, die drei Jahre älter ist als ich. Sie hat von ihrer Ausbildung geschwärmt und das war dann der Grund, warum ich mich für die Augenoptik entschieden habe.
2. War es schwer, einen Ausbildungsplatz zu finden oder hattest Du die Wahl zwischen mehreren potenziellen Arbeitgebern?
Elias: Ich hatte natürlich Leonie gefragt, ob in ihrem Betrieb eine weitere Azubi-Stelle frei ist. Das war aber nicht der Fall, denn ihr Chef bildet nicht jedes Jahr aus. Leonies Erzählungen über den Beruf haben mich aber so motiviert, dass ich bei einem anderen Augenoptiker in der Region, dessen Homepage mich angesprochen hat, nach einen Praktikum gefragt habe und das hat für die Osterferien geklappt. Als Praktikant durfte ich zwar nicht viel machen, war hauptsächlich in der Werkstatt. Dafür wurde mir aber am Ende direkt ein Ausbildungsvertrag angeboten und ich war richtig happy darüber.
3. Wie sahen die ersten Tätigkeiten aus, die Du angfangs ausführen durftest/musstest?
Elias: Die ersten Wochen waren absolut enttäuschend. Mein Chef war drei Wochen im Urlaub und die verbliebenen Kolleginnen und Kollegen konnten mir nicht wirklich etwas erklären, weil der Laden immer sehr voll war. Sie gaben mir auch das Gefühl, das 5. Rad am Wagen zu sein. Was habe ich also gemacht? Ich habe die Kaffeemaschine geputzt, die Post weggebracht und den Laden sauber gehalten. Mein Vater meinte dazu, dass „Lehrjahre keine Herrenjahre“ sind und dass ich einfach ein wenig mehr Geduld haben müsse. Doch auch als mein Chef zurück war, war ich den ganzen Tag fast nur in der Werkstatt. Ich habe Passstücke gefeilt, gebröckelt und viele Kleinigkeiten in der Werkstatt erledigt. Vor allem das Putzen und Ausrichten von Brillen. Direkten Kontakt zu Kunden hatte ich in den ersten sechs Monaten nie. Meine Kollegen und mein Chef haben gesagt, dass unsere Kunden sehr viel Geld für eine Brille bezahlen und daher nicht von einem Lehrling bedient werden möchten.
So zog sich das ganze erste Jahr. Natürlich verstehe ich, dass ich im 1. oder 2. Lehrjahr keine Refraktionen machen kann und darf. Auch komplexe Verkäufe kann man in der Zeit noch nicht übernehmen. Aber zumindest bei „einfachen“ Verkäufen hätte ich gerne mal mein Glück versucht – so nach dem Motto: „Hallo Frau Maier, der Elias macht bei uns gerade eine Ausbildung. Wäre es für Sie in Ordnung, wenn er mal das Gespräch führt, ich als Meister aber natürlich dabei bleibe?“ Ich bin mir sicher, die wenigsten Kunden hätten etwas dagegen gehabt.
4. Nun hast Du Deine Ausbildung nach 13 Monaten abgebrochen. Warum?
Elias: Am Ende war das die einzige Option, weil all die Pluspunkte, die für mich einen Augenoptiker ausmachen, überhaupt nicht zum Tragen kamen. Ich meine damit den Kontakt zu Menschen und das „anderen helfen zu können“.
Ich hatte darüber auch mehrfach mit meinem Chef sprechen wollen, aber der hatte irgendwie nie wirklich Zeit für mich. Die Gespräche mit ihm fanden immer in der Werkstatt vor allen anderen Kollegen statt. Da konnte ich ihm nicht alles 1:1 sagen, weil ich gehemmt war. Er meinte immer nur, dass wir das dann nächsten Monat angehen, aber aus dem nächsten Monat wurde der übernächste oder der überübernächste usw. Vom Gefühl her lief meine Ausbildung komplett anders als die meiner Mitschüler, insbesondere von denen, die bei großen Ketten lernten.
Das Fass zum Überlaufen gebracht hat die Tatsache, dass ich gerne zum Azubi-Gipfeltreffen von Brillen-Profi nach Garmisch-Partenkirchen gefahren wäre. Das ist ein kostenloses Seminar unserer Einkaufsgemeinschaft für Auszubildende. Mein Chef meinte etwas genervt, dass ich mir dafür gerne Urlaub nehmen könne und das Zugticket auch selbst bezahlen müsse. Spätestens jetzt wusste ist, was ich wert bin – oder eben nicht. Am nächsten Tag habe ich mit meinem Vater bei meinem Chef die Ausbildung beendet. Komischerweise hatte ich das Gefühl, dass nicht nur ich, sondern auch mein Chef erleichtert über diesen Schritt waren.
5. Du hast inzwischen eine Ausbildung zum Elektriker begonnen. Wie kam es dazu und wie geht es Dir heute?
Elias: Das war im Nachhinein wieder ein ganz großer Zufall. Kurz nachdem ich die Ausbildung zum Augenoptiker beendet hatte, bekamen meine Eltern eine Photvoltaik-Anlage. In dieser Zeit waren viele Handwerker bei uns, so auch von dem kleinen Elektroinstallateur-Betrieb bei uns am Ort. Den Chef – mein jetztiger Chef – kannte ich vom Fußball und meine Eltern haben ihm meine Geschichte erzählt. Irgendwann kam er dann auf mich zu und meinte, ob ich nicht bei ihm als Azubi anfangen möchte. Ich war zuerst sehr zurückhaltend, weil ich noch die schlechten Erfahrungen meiner letzten Ausbildung in den Knochen hatte. Wir haben uns daher zunächst auf ein 2-wöchiges Praktikum verständigt.
Und das war der Hammer: Ich habe am ersten Tag gleich einen kompletten, nigelnagelneuen Werkzeugkoffer erhalten, auf dem sogar mein Name stand sowie eine Garnitur Arbeitskleidung, die genauso aussieht wie die meiner Kollegen. Von der ersten Minute an fühlte ich mich willkommen, wertgeschätzt und als Teil des Teams. Natürlich muss ich auch hier viele typischen Azubi-Dinge tun, wie fegen oder Werkzeug holen. Weil ich aber dennoch täglich neues lerne und meine Arbeit einen wirklichen Nutzen für andere, unsere Kunden, hat, nehme ich das gerne in Kauf. Aktuell bin ich im 2. Ausbildungsjahr und mein Chef spricht mit mir schon über die Zeit nach der Ausbildung und wie er mich bei der Weiterbildung zum Meister fördern möchte.
7. Glaubst Du, es lag in Deinem Fall am Arbeitgeber oder ist der Beruf Augenoptiker generell nichts für Deine Zukunft? Bzw: Was würdest Du anderen Jugendlichen raten, die sich für diesen Beruf interessieren?
Elias: Der Job des Augenoptikers ist mit Sicherheit eine perfekte Kombination aus Handwerk, Gesundheit sowie persönlichen Begegnungen mit Menschen und kann bestimmt viel Spaß bringen. Ich würde heute jedem Schulabgänger raten, mindestens zwei bis drei Praktika in unterschiedlichen Berufen und Betrieben zu machen. So erhält man nicht nur einen genaueren Einblick in die Tätigkeiten, man lernt auch unterschiedliche Typen von Chefs kennen. Wäre mein damaliger Ausbilder so gewesen, wie mein aktueller Chef, dann hätte ich mit Sicherheit meine Ausbildung abgeschlossen.
Elias, vielen Dank für deine Offenheit und das Gespräch.